Buchpremiere – Natascha Wodin im Gespräch mit Dmitrij Kapitelman
Die Suche nach einer guten Putzfrau: ein Gemeinplatz. Im Freundeskreis erfragt, dann als echte Perle weiterempfohlen etc. Natascha Wodin geht anders an die Sache heran, als sie 1992 nach Berlin kommt. Sie gibt eine Annonce auf, ist dann aber überfordert von den unterschiedlichen Bewerberinnen und entscheidet ganz spontan für eine Ukrainerin – weil sie aus dem Herkunftsland ihrer Mutter kommt, die, nach dem Zweiten Weltkrieg als Zwangsarbeiterin verpflichtet, in Deutschland nie glücklich wurde. Nastja, eine Tiefbauingenieurin, hat nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion ihre Ehe und das wirtschaftliche Chaos ihrer Heimat hinter sich gelassen und ist in Kiew in den Zug gestiegen, um in Berlin nach einem Auskommen zu suchen, das sie und ihren kleinen Enkelsohn ernährt. Wie so viele in der gleichen Situation beginnt sie, die Leserin, die Motorradfahrerin, eine Karriere als Putzfrau – und wie so viele bemerkt sie zu spät, dass man dafür mehr braucht als ein paar Deutschkenntnisse und einen zähen Charakter. Ohne Papier schlittert sie in das Leben einer Illegalen und wird Teil der riesigen Dunkelziffer an Untergetauchten im Dickicht der neuen, noch wildwüchsigen deutschen Hauptstadt.
Natascha Wodin »Nastjas Tränen« Rowohlt, 2021